Freitag, 30. März 2007
ich blogge, also bin ich?
Als Besucher, Leser und Beobachter bin ich in der virtuellen Bloggerwelt ja schon seit längerem unterwegs, als aktiver Teilnehmer erst seit kurzem - und wirklich aktiv bin ich da in den letzten sechs Wochen auch nicht gewesen, denn dazu fehlt es mir schlicht an Zeit.
Und wahrscheinlich auch ein wenig an Interesse, denn, ich gebe es zu, ich habe noch ein Leben neben dem Internet.
Ich habe auch Freunde außerhalb des Internets.
Und Beziehungen. Und Aktivitäten. Und Interessen.

Andererseits habe ich sehr viele meiner Freunde tatsächlich über das Internet kennengelernt, das ist schon wahr. Aber ich pflege diese Freundschaften heute doch wesentlich lieber und öfter außerhalb der virtuellen Welt - ich telefoniere viel, ich treffe mich mit Freunden, wir fahren gemeinsam in Urlaub, schicken uns Post (echte) oder organisieren andere, mögliche Treffen oder Veranstaltungen.
Ich gebe also gerne zu, dass das Internet gut und nützlich, ja gradezu ideal ist, um schnell, einfach und problemlos Kontakt zu bisher fremden Menschen zu bekommen - aber wenn dieser erste Kontakt dann hergestellt ist, finde ich es nur naheliegend, dass man weitere "Beziehungspflege" in den realen Privatbereich verlegt.
Ich meine, wenn ich in einer Kneipe jemanden kennenlerne und wir sind uns gegenseitig sympathisch, dann verabreden wir uns doch auch privat - und treffen uns nicht zwanghaft immer weiter nur in der Kneipe, oder? Zum Kennenlernen ist eine Kneipe zwar ein prächtiger Ort, und das Internet ist noch besser dafür geeignet, auch gehe ich gerne ab und zu "nur mal so" in eine Kneipe, manche oberflächlichen Bekannten trifft man nur da, man kann sich aber auch mit guten Bekannten speziell verabreden und dann viel Spaß haben - jedoch mein Leben, meine Hauptzeit des Lebens, verbringe ich doch nicht in einer Kneipe.
Ich zumindest nicht, bei anderen scheint das aber wohl doch so zu sein. Die leben quasi nur für und in ihrer Stammkneipe. Da kann man vorbeikommen, wann immer man will - die feste Stammkneipenbesetzung ist schon da, sitzt in der Gegend rum und wartet, dass die Zeit vergeht.

Und seit dem es Internet gibt, sitzt der gelangweilte Stammkneipengänger halt nicht mehr in einer Kneipe, jetzt sitzt er am PC - und geht vom PC aus in seine Stammkneipe.
Für manche ist das ein Forum, andere leben in so einer "Spielewelt" - und wieder andere bloggen.

Ich frage mich nur immer, was sind das für Menschen, die ihre gesamte Zeit in so einer "Kneipe" verbringen.
Wirklich verstehen werde ich die wohl nie.

Hier in Kleinbloggersdorf gibt es ja auch so einige, die nachweislich jeden Tag VIELE Stunden am PC sitzen müssen, denn erstens schreiben sie in ihren eigenen blogs wie die Wilden - und kommentieren darüberhinaus noch reichlich bei anderen. Allein die Tipperei dauert ja schon - selbst wenn man enorm schnell schreibt und lesen müssen sie ja zwischendurch auch mal. Bei einigen habe ich das aus Gag mal überschlagen und komme auf durchschnittlich gut 5-6 Stunden Kleinbloggersdorfaufenthalt pro Tag, hat doch was, oder?

Wirklich witzig finde ich dann immer, WAS die Leute sich da so zusammenschreiben. Manche machen einen auf social community und reichen sich ständig Kekse, Getränke und Trostpflästerchen rüber - und erwachsene Menschen entblöden sich dabei tatsächlich nicht Dinge wie "saftiger Schokokeks tröstend rüberreich" regemäßig zu schreiben, bzw. zu reichen und anzunehmen und sich gleichzeitig über die Jugendsprache, der sie von ihrem eigenen Alter her schon entwachsen sind, was sie schon deshalb übel nehmen, weil sie sich mit Ende 20 ja noch ach so jugendlich fühlen, also über diese Jugendsprache regen sie sich auf - um sich dann gegenseitig tröstend wieder ein paar Kuschelkekse rüberzuschieben.

Das ist die eine Spezies, die sind vorwiegend weiblich und werden von einigen unentwegten Frauenverstehern begleitet.

Die andere ist eher männlich und zeichnet sich durch bewusste Intellektualität aus, die der Leser wiederum an der geschraubten Sprachwahl erkennen kann. Viele von denen sind Journalisten oder Autoren, teilweise auch Fotografen oder Musiker, auf alle Fälle aus der freiberuflichen und/oder Künstlerecke und empfinden sich ja schon deshalb per se und ohne Zweifel zum Bloggen prädestiniert. Der wahre Künstler ist immer intellektuell und bloggen ist halt was für denkende Menschen.
Manche dieser verkrachten Existenzen sind dabei einfach nur niedlich - weil ihr Verhalten so leicht zu durchschauen ist und in jedem "Psychologie für Anfänger" Buch nachzuschlagen ist: Sie möchten so zwanghaft und dringlich etwas besonderes und vor allem anderes sein, dass sie dabei komplett übersehen, dass sie durch dieses "anders sein" ja auch schon wieder zu einer Gruppe gehören und dort, in dieser Gruppe der "wir sind alle anders und vor allem intellektuell" Kerlchen doch wieder genauso langweilige graue Durchschnittsmäuse sind wie der biertrinkende HSV-Fan, der während der Woche am Fließband steht und als Pflichtlektüre die Bildzeitung liest.

Ob sie nun am Fließband stehen, ihren Lebensunterhalt aus Hartz IV Mitteln bestreiten oder durch das Schreiben von Kolumnen oder Drehbüchern für die dritten Programme oder alternative Szeneblätter ist im Grunde egal, insgesamt fallen sie alle unter den Begriff Prekariat - und damit erklärt sich dann auch ihre Affinität für ausdauernde Kneipenbesuche.
Sie haben ja sonst nix.
Insbesondere keinen wahren Erfolg, denn dann hätten sie keine Zeit für die stundenlange Bloggerei - und keine Kohle, denn dann gäbe es auch spaßigere Dinge seine Zeit totzuschlagen als dauernd am PC zu sitzen.
Aber wenn sie in Kleinbloggersdorf vielleicht auch kein reales Geld verdienen können, so gibt es dort immerhin Ansehen und Ehre und, ganz wichtig, viele Gleichgesinnte, die nicht nur die Abgedrehtheit ihrer Sprache zu würdigen wissen, sondern auch noch bewundern und retournieren. Die sind in der realen Welt längst nicht in dieser geballten Form zu finden, wie hier in KBD.
Und so bewundern sie sich mit Begeisterung gegenseitig, schreiben sich kryptische Texte und dreimal um die Ecke gedachte Kommentare in ihre blogs - und sind damit endlich anders als ......... - ja, als wer eigentlich?

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Möglicher Erklärungsansatz
Das Verhalten, welches du da beobachtet hast, könnte seinen Ursprung darin haben, dass nicht alles so ist, wie es scheint.

Man stelle sich mal vor, diese ganzen freiberuflichen Künstler und Wichtigtuer (nichts gegen Künstler und Wichtigtuer) träfen sich völlig real und fern der Virtualität - da würde so manch eine Existenz auffliegen, weil sie so wie geschildert gar nicht existiert...

Man gibt sich gerne hochgradig beschäftigt, alleine die Frequenz der Beiträge straft derartige Aussagen allerdings Lügen.

Das verbindet diese Personengruppe absolut mit der weitverbreiteten Donna domestica, der Gemeinen Hausfrau: Das Beschäftigttun und das Besonderssein, weil alle rote Tulpen auf der Fensterbank haben, und man selbst hat orangerote, das Saugen mit einem bestimmten Staubsauger (es gibt sogar Internetforen zu bestimmten Haushaltsgeräten; dort bilden sich wahrhafte Gesinnungsgemeinschaften und Wahlverwandtschaften über ich-bin-auch-stolze-
Besitzerin-solch-einer-Plastikschüssel), die Nutzung eines bestimmten Fensterwischlappens.

Diese halten sich selbst auch für was ganz besonderes, und dass dem so ist, kann ja jedes Kind schon an den Tulpen erkennen.

Vielleicht würde man unendlich viel Zeit sparen (alle sind ja so beschäftigt), wenn man nicht immer vorgeben würde, so beschäftigt zu sein, sondern einfach mal zum Rumgammeln stünde.

Vielleicht ist dieser Schatten aber auch zu groß, um darüber zu springen.

Ich habe jetzt jedenfalls genug gegammelt...

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Eine Personengruppe fehlt noch in obiger Ausführung: Die Gruppe der gespaltenen Persönlichkeiten. Für sie wurde das bloggen ja erst erfunden. Wie schön ist's doch, sich x Namen zuzulegen, um dann im Blog mit sich selbst zu diskutieren. Sieht doch viel befriedigender aus, als wenn kein Schwein einen comment hinterlässt!

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Wer lange bloggt oder surft
ist natürlich krank. Oder?

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