Freitag, 31. August 2007
Szenen einer Ehe
Die Lieblingstante ist seit 33 Jahren verheiratet.
Mit dem dicken Onkel , der stets puppenlustig aufgelegt ist.
Dieses Jahr wird sie 60.
Sie haben eine Tochter und einen Sohn; die Tochter ist verheiratet und lebt mit ihrem mann in einer separaten Wohnung im Haus, der Sohn... (weiß man nicht so genau, es gibt da wohl eine Frau und ein Kind...).
All in all eine normale deutsche Durchschnittsfamilie, würde ich mal behaupten.
Oberflächlich betrachtet.

Er

Der dicke Onkel war schon immer dick, auch als er noch kein Onkel war. Ein Einzelkind war er, verhätschelt und verwöhnt, die Eltern hatten eine Metzgerei, und was sie nicht fähig waren, ihm an Liebe und Zuwendung zu zeigen, das steckten sie in Form von Sülzen, Schnitzeln, Koteletts, Braten und Dauerwürsten in ihn hinein.
Auch als er schon mit der Liebslingstante verheiratet war steckte ihm "die Mamma" immer noch ein paar Königsberger Klopse zu.

Diese leidgeprüfte Person hatte es nicht leicht, nachdem ihr Ehemann starb, leider hatte sich der einzige Sohn eine Unperson (die Lieblingstante) zur Frau genommen - für die damalige Zeit zwar mit ganz guter Ausbildung, aber vom Land und nicht aus der Stadt.
Richtig kochen konnte die natürlich nicht, nicht wie "die Mamma", also sorgte Mamma dafür, dass der Sohn nicht verhungerte und steckte ihm auch dann weiterhin etwas zu, wenn seine Frau gerade gekocht hatte - wozu wohnte man schließlich im selben Haus?
Als "die Mamma" siech wurde, pflegte sie die Lieblingstante hingebungsvoll - für irgendwas musste sie ja gut sein - und am Ende ihrer Tage musste selbst "die Mamma" einräumen, dass die Schwiegertochter kein so übler Mensch war.

Selbstverständlich hat der Onkel alles geerbt - die Metzgerei und das Haus, dafür hatte "die Mamma" gesorgt.

Mit der Zeit wurde die Lieblingstante schwierig: Immer öfter war sie krank (selber schuld), machte aus allem ein Problem.

Ärgerlich.

Der Onkel, selbst gelernter Metzger, hatte bald keine Lust mehr auf die Metzgerei, schulte kurz nach dem Tod "der Mamma" um, vermietete die Metzgerei und ging vor einiger Zeit in Rente.


Sie

Die Lieblingstante ist die jüngste aus einer ganzen Reihe von Geschwistern. Und die cleverste - behaupte ich.
Herzensgut ist sie, aufopferungsvoll, hart im Nehmen. Durch ein Handicap, das sie seit frühester Jugend hat, hat sie gelernt zurechtzukommen, selbst wenn es schwierig ist.
Den Psychoterror der Schwiergermutter ertrug sie jahrelang mit Langmut, zum Schluss pflegte sie sie bis zum Tod, um ihr das Ende in einem Heim zu ersparen.

Irgendwann wurde sie krank - immer öfter, aber sie trug es, ohne zu klagen.

Was keiner wusste

Seit Jahrzehnten gängelt der Onkel die Tante. Er beschimpft sie, macht sie nieder.
Aber nie vor anderen.
Vor Dritten ist er stets puppenlustig.

Letzte Woche kamen die Kinder lautlos nach Hause und wurde erstmals Zeugen einer dieser Szenen.
Sohn und Tochter sind entsetzt, der Schwiegersohn wagt es gar, dem Onkel Contra zu geben.

Die Situation eskaliert - das kannte der Onkel bisher nicht - die Tante hat immer alles schweigend ertragen - und der Onkel flippt richtig aus.
Als sie alleine sind, entlädt sich sein gesamter Zorn an der Tante.
Dann rannte er zur Tür hinaus und ward nicht mehr gesehen.

Die Tante kommt zu uns.
Sie heult sich aus, erzählt uns alles, kann nicht mehr, hat einen Nervenzusammenbruch.
Zurückgehaltenes aus Jahrzehnten bahnt sich erst mühsam dem Weg über ihre Lippen, zum Schluss sprudelt es aus ihr heraus.
Stundenlang.

Was er will

Alles sei so wie bisher.
Die Tante soll sich nicht so anstellen, einfach mal machen, was er ihr sagt.
Aufhören mit ihrer "Hysterie".
Oder in die Klapse gehen.
Was soll das ewige Gerede von "Problemen"?

Was sie will

Keine Angst mehr haben.
Nicht mehr runtergeputzt werden.
Einmal ein nettes Wort.
In Ruhe schlafen, denn das hat sie seit Jahren nicht mehr getan.
Die Scheidung, vielleicht, auf jeden Fall aber eine Trennung.

Maßnahmen

Sie spricht sich aus, das erste mal überhaupt mit jemandem aus der Familie.
Und sie ist geflohen.

Er ist ein paar Tage "verreist".
Geld und Immobilien hat er schon vor Jahren "zur Seite geschafft".
Niemand bekommt was, nicht sie, nicht die Kinder - alles ist seins, hat er geerbt, so wollte es "die Mamma".

Und wenn er es verprasst - keiner bekommt was. Keiner!



Unter dem Aspekt werde ich den Heiratsantrag, den mir mein Süßer gemacht hat, nochmal bedenken. Ich hab' ja noch nicht "ja" gesagt...

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Krasse Geschichte.
Aber ich denke, wo man auch hinter die Kulissen schaut, da bröckelt es oft gewaltiger als man denkt.
Hat sich mir diese Woche gerade erst wieder in einem längeren Telefonat bestätigt.

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Oh Mann,
fällt mir dazu spontan nur ein.
Im Grunde aber auch nur die ganz normale Welt hinter den Kulissen - was meinste, in wie vielen Familien derartige Leichen im Keller schlummern?

Gut, dass jetzt mal was passiert ist und die Tante gezwungen wurde, aufzuwachen und zu reagieren.

Hilf ihr, mach ihr klar, dass sie sich wehren muss und nicht einfach nur weglaufen darf.
Sie will natürlich keinen Streit, jetzt will sie nur noch ihre Ruhe. Aber sie hat Verantwortung - nämlich sich selber gegenüber. Die besteht vor allem darin dass sie sich immer selber sagen kann, dass sie das Beste für ihre Kinder getan hat. Wenn sie da jetzt versagt, einfach nur wegläuft und den Onkel alles verprassen lässt, so dass auch nachher nichts mehr für die Kinder da ist, dann wird sie mehr leiden, als sie sich überhaupt vorstellen kann.
Mach ihr klar, dass sie dem Onkel Kontra bieten muss, dass sie dafür sorgen muss, dass er den Kindern nichts wegnimmt, nur weil er grade giftig ist und dass es ihr Job ist, sich endlich mal durchzusetzen.
Sie tut auch den Kindern weh, wenn sie jetzt nur noch leidend, heulend und gedemütigt in der Ecke sitzt und sich alles gefallen lässt. Niemand sieht gerne zu, wie eine geliebte Person leidet. Also muss sie sich schon der Kinder wegen aufraffen. Mach ihr das klar. Dringend und eindeutig. Das ist wichtig, sonst geht noch viel mehr kaputt.

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