Samstag, 15. September 2007
Schwebezustand
Ende Mai hatte mich der Besuch aus der Vergangenheit ja quasi wachgerüttelt und mir war klar geworden, dass ich in den letzten Jahren immer mehr damit beschäftigt war, meine Lethargie zu verwalten, statt tatsächlich selber aktiv mein Leben zu gestalten.
Mein ursprünglicher Plan klappte bekanntlich nicht, meine "Schulfreundliebe" verweigerte die Mitarbeit, aber insgesamt hatte dieser Ausflug gereicht, um mich aufzuwecken.
Dann muss ich eben selber dafür sorgen, dass wieder mehr Schwung in mein Leben kommt und das habe ich dann auch systematisch begonnen zu überdenken und zu planen.

Mein bisheriges Leben war ja okay, aber wie's halt so geht: Man trifft einen Mann, in den man sich verliebt, beschließt sich zu vermehren, opfert die Liebe zu zweit einem Dauerstress erst zu dritt, dann zu viert, zu fünft .... bis man das Vermehren drangibt und sich zum Abschluss aber noch einen Hund zulegt.
Irgendwann sind die Kinder aus dem Allergröbsten raus, werden immer selbständiger, und jetzt könnte man endlich auch mal wieder zu zweit..... - nur leider hat man im Laufe der Jahre die Liebe zu zweit so sehr auf Eis gelegt, dass sie nicht nur tiefgefroren, sondern sozusagen ötzifiziert wurde: Zwar noch existent und sieht nach außen auch immer noch gut aus, aber leider leblos.
Man mag es selber nicht glauben, schießlich ist doch nichts Schlimmes passiert und keiner fühlt sich schuldig, man hat doch nur getan, was alle tun. Eben die Kinder großgezogen und Rücksicht genommen, wieso kann man nach 17 Jahren dann nicht einfach da weiter machen, wo man vor dem ersten Kind aufgehört hat?
Ich weiß es auch nicht, aber es scheint häufiger zu passieren, denn schon Erich Kästner hat diese Situation bedichtet:

Als sie einander acht Jahre kannten,
(und man darf sagen, sie kannten sich gut),
kam ihre Liebe plötzlich abhanden,
wie anderen Leuten ein Stock oder Hut.

Sie waren traurig, betrugen sich heiter,
versuchten Küsse als ob nichts sei
und sahen sich an und wussten nicht weiter,
da weinte sie schließlich und er stand dabei.

Vom Fenster aus konnte man Schiffen winken.
Er sagte, es wäre schon Viertel nach Vier
und Zeit, irgendwo Kaffee zu trinken.
Nebenan übte ein Mensch Klavier.

Sie gingen ins kleinste Café am Ort
und rührten in ihren Tassen.
Am Abend saßen sie immer noch dort.
Sie saßen allein und sie sprachen kein Wort
und konnten es einfach nicht fassen.


Dass mir/uns die Liebe tatsächlich abhanden gekommen war, wollte ich Ende Mai noch absolut nicht glauben. Das kann gar nicht sein, ich habe einen tollen Mann, den ich bewundere, dem ich vertraue, der mich liebt und der mich versteht. Wir haben uns nur in den letzten Jahren etwas auseinander gelebt, aber das ist doch alles kein Grund zur Beunruhigung, wir/ich muss mich nur wieder etwas anstrengen und aufraffen, der Beziehung neuen Schwung zu geben und dann klappt das wieder.

Ja, sogar bis Ende Juli war ich fest davon überzeugt, dass die in die Jahre gekommene Beziehung relativ problemlos wieder zu reparieren sei.

Und ich habe mir dann im Juni auch gleich überlegt wie das gehen könnte: Wir müssen wieder mehr miteinander reden. Reden ist wichtig und wir müssen uns gegenseitig überlegen, was wir vom jeweils anderen erwarten und wie wir uns die weitere, gemeinsame Zukunft vorstellen.
Zu dem Zweck fand ich es eine gute Idee, dass ich den größten Teil der Sommerferien mit den Kindern alleine verbringe, denn Monsieur musste ja eh arbeiten und so gaben wir uns einfach eine Auszeit, in der wir ungestört, jeder für sich, mal gründlich nachdenken können.
Wir haben viel telefoniert in diesen drei Wochen - bzw. ich hatte gehofft, dass wir viel telefonieren, denn ich fand es wichtig und habe es immer wieder probiert. Aber es war schwierig. Er hatte Termine, war schlapp und müde, keine Zeit, keine Lust und wenn ich ihn dann tatsächlich am Telefon hatte, dann wussten wir nicht so genau, was wir reden sollten.
Also habe ich geredet und ihm ausführlich erklärt, welche Gewohnheiten, die sich im Laufe der Jahre entwickelt haben, ich wieder rauswerfen möchte, was ich dafür alternativ erwarte, was ich selber künftig tun möchte, was ich mit ihm tun möchte und entwickelte im Laufe der Wochen einen ganz enormen Schwung. Mir ging es von Tag zu Tag besser. Ich hatte wieder Lust am Leben, sah das meiste enorm positiv, konnte mich wieder über meine Zukunft freuen und war im wahrsten Sinne des Wortes aus meiner Lethargie erwacht. Ich habe noch fast 25 Jahre bis zur Rente und hey, das muss man doch nutzen!!
Erst dachte ich, er geht darauf ein. Er redete zwar wenig am Telefon, aber er hörte wenigstens zu. Als wir uns dann nach drei Wochen das erste Mal wiedersehen, war ich voller Erwartungen und fest davon überzeugt, dass nun eine neue Zeit anbricht.

Wahrscheinlich war das der größte Fehler, den ich machen konnte, denn es passierte - nichts!
Im Gegenteil, all die Dinge, die ich als negativ und überflüssig gebrandmarkt hatte, machte er genauso weiter wie in den Jahren zuvor, teilweise kam es mir sogar schlimmer vor.
Und dann zerbrach etwas bei mir. Ich wachte morgens auf und wusste, es geht nicht mehr.
Ich konnte ihn nämlich nicht mehr riechen.
Sein Geruch, der mir über Jahre vertraut war, den ich auch immer mochte, hatte sich nicht verändert, aber ich konnte ihn von jetzt auf gleich nicht mehr ertragen. Er roch plötzlich bitter, streng und unangenehm.

Erst habe ich gedacht, ich tobe da nur eine neue hysterische Phase aus und versuchte, das komplett zu ignorieren - aber es hält an.
Ich ertrage seine Nähe nicht mehr, ich versteinere, wenn er mich anfasst und ich ziehe mich immer weiter zurück.

Dabei mag ich ihn noch. Sehr sogar. Er ist immer noch ein toller Mann und es gibt vieles, was ich an ihm bewundere und ich weiß immer noch, dass ich mich zu 100% auf ihn verlassen kann. Aber jetzt mag ich nur noch den Menschen und nicht mehr den Mann.

Das ist eine sehr vertrackte Situation, denn ich will ihm absolut nicht wehtun, eben weil ich ihn mag und respektiere. Ich weiß aber auch, dass ich die nächsten 25 Jahre nicht mehr mit ihm als Mann leben kann.

Meine eigenen Ideen für die Zukunft werde ich aber trotzdem verwirklichen oder besser: Jetzt erst recht. Denn jetzt weiß ich, ich muss mir dringend ein eigenes Leben schaffen, eines, an dem ich Spaß habe, was mich zufrieden macht und das mir immer wieder neuen Schwung gibt, um auch konsequent weiterzugehen.
Aber das muss ich alleine schaffen, was wahrscheinlich auch sinnvoller ist, denn dann kann ich auch komplett und alleine darauf stolz sein und muss nicht regelmäßig befürchten, dass mir jemand sagt, das hätte ich doch nur mit Hilfe hinbekommen.

Jetzt bin ich also schon 3,5 Monate weiter und heute weiß ich, dass mir nichts besseres passieren konnte als eben dieser (missglückte?) Vergangenheitsbesuch, denn nur dadurch wurde mir bewusst, wie langweilig und festgefahren mein Leben war.

Ich brauche keinen neuen Mann, aber auch keinen alten mehr, ich brauche nur selber genug Selbstvertrauen und Energie, um zu bemerken, was das Leben alles bietet.
Wenn ich aber erst mal alleine kann, dann kann ich auch wieder zu zweit. Nicht mehr mit dem bisherigen Mann, aber da wird ein anderer sein. Einer, der mich von Anfang an in einer anderen Rolle erlebt, einer mit dem ich von Anfang an auch andere Träume haben werde. Keine gemeinsame Familie, keinen Nestbau und kein gemeinsames Altwerden - sondern gemeinsames Jungbleiben und gemeinsames Entdecken der weiteren Möglichkeiten.

Unter diesem Aspekt sehe ich das Leben endlich wieder komplett positiv. Im Moment lebe ich noch in einem Schwebezustand, denn noch habe ich die feste Basis für ein eigenes Leben noch nicht komplett geschaffen. Das wird auch noch dauern. Vielleicht ein Jahr oder zwei, aber das ist egal, denn jetzt weiß ich endlich, wo ich hin will und habe mich auf den Weg gemacht. Es braucht eine gründliche Vorbereitung, ich muss neue Kontakte knüpfen, eigene Kontakte, muss Chancen sehen und wahrnehmen, ein Netzwerk aufbauen und fremde Unterstützung einfordern, aber irgendwann werde ich dann auch ein Jobangebot finden, was mich so überzeugt, dass ich weiß, das ist es und ab jetzt und damit kann ich wirklich alleine.

Meinem Mann habe ich das alles genauso erklärt und ihm auch angeboten, dass wir uns sofort trennen können, wenn ihm das lieber ist, aber er weiß auch nicht, was er alleine machen sollte, also bauen wir jetzt gemeinsam, aber trotzdem jeder alleine an einer eigenen Zukunft.

Interessant dabei finde ich vor allem, was eine missglückte Affaire so alles auslösen kann.

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Zwiespältig
Schon häufiger ging es mir bei Ihren Beiträgen so, dass sich, nach Beendigung der Lektüre, ein zwiespältiges Gefühl breit machte.

Heute war es im Besonderen so, dass ich nicht wusste, ob ich bedauern sollte, dass Ihre Ehe nun endgültig vorbei ist, ob ich mich für Sie freuen sollte, dass Sie aus dem "Dornröschenschlaf" erwacht sind oder ob ich Sie bewundern sollte, weil Sie es anscheinend hervorragend schaffen, mit Ihrem "Noch-Mann" diese schwierige Situation zu meistern.

Ich drücke Ihnen jedenfalls die Daumen, dass Sie, unabhängig davon, wie Sie an Ihrem neuen Leben weiterbauen, das Glück finden, das Sie sich erhoffen!!

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Ooohhhh
zunächst mal bin ich immer wieder erstaunt, dass hier im Laufe der Zeit wohl doch eine Menge Leute mitlesen und dass, obwohl die Beiträge nur sehr sporadisch erscheinen, dann auch noch von unterschiedlichen Leuten (denn es ist wirklich ein Gemeinschaftsblog, auch wenn schon der Verdacht aufkam, hier schaukelt sich nur ein Mensch mit unterschiedlichen Identitäten selber hoch), d.h. es gibt weder eine klare "Stil-" und noch weniger eine einheitliche "Inhaltslinie", aber trotzdem scheint es blogger zu geben, die regelmäßig hier vorbei schauen, wenn denn endlich mal wieder etwas aktualisiert wurde.

Zu der Zwiespältigkeit der Gefühle: Da scheine ich wohl eine besondere Begabung zu haben, genau diese Divergenz bei anderen Menschen zu wecken. Erst neulich schrieb mir ein (nicht bloggender) Freund, dass er sich nie entscheiden könne, ob er mich prügeln oder knutschen solle, beide Gefühle würde ich permanent gleichzeitig bei ihm hervorrufen.
Ich denke, es liegt an meiner relativen Kompromisslosigkeit, was das Akzeptieren gesellschaftlicher Normen angeht. Ich akzeptiere nur die, die mir auch sinnvoll erscheinen. Konventionen, hinter denen ich keine nachvollziehbare Begründung sehe, lehne ich kategorisch ab und hatte noch nie ein Problem damit, mich im Zweifel auch sehr bewusst (und sogar mit Ansage) sozial auszugrenzen.
Macht ihr, wie "man" meint, ich mache halt anders, aber ich kann auch genau begründen, warum ich anders besser finde.

Da meine Begründungen halbwegs intelligenten Menschen zumindest nachvollziehbar sind, sie gleichzeitig aber eben nie das bekannte "Bauchgefühl" bedienen, entsteht ein Zwiespalt, der viele verunsichert und sie mich deshalb vorsichtshalber lieber mal ablehnen.
Ich kann dadurch aber sehr einfach die Menschen rausfiltern, die für mich interessant sind. Das sind nämlich die, die wenigstens den Mut haben, sich auch mal mit einer anderen Perspektive auseinanderzusetzen und das finde ich immer nur positiv.

Ich suche gar keine Übereinstimmung, im Gegenteil, erst durch die Diskussion mit Gegenmeinungen bin ich in der Lage, meine eigene, abweichende Position besonders klar zu überdenken, kann dann Fehler bemerken oder, im besten Fall, stärkt es meine Meinung, weil ich grade durch die geforderten Extrabegründungen sehr klar sehe, dass ich das für mich richtige tue.

In diesem Sinne also vielen Dank für Ihren Kommentar, ist doch immer wieder nett, Menschen zu treffen, die, egal in welcher Umgebung, immer gleich auf einen reagieren.
Ein bisschen hätte mir sonst fast was gefehlt.....

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